„Experimentierfelder und Ansätze für die Arbeit vor Ort“ – Integration des Ansatzes Wirtschaftsförderung 4.0

“Nachhaltige Zukunftsstädte und Gemeinden“ (II)

Wir hatten den ersten Blog zum Ansatz der Wirtschaftsförderung 4.0 -Ansatz (im folgenden WF 4.0) mit der Geschichte von Paul Watzlawick begonnen, den Unterschied zu traditionellen Wirtschaftsförderungsansätzen herausgestellt und zu einer umfassenderen Perspektive und einem neuen Suchprozess im Bereich der lokalen und regionalen Wirtschaftsförderung aufgerufen. In diesem Blog gehen wir noch einmal tiefer auf die Experimentierfelder ein, die der WF 4.0-Ansatz betont als auch die Frage, wie andere Wirtschaftsförderorganisationen als auch wir von Mesopartner unsere Perspektive ausweiten und unsere Praxis verändern können.

Thema des Blogs: Öffnung des Blickwinkels wie wir Wirtschaftsförderung interpretieren

In Deutschland wird der WF 4.0-Ansatz bereits in verschiedenen Städten und Gemeinden verschiedener Größe umgesetzt (u.a. in Osnabrück, Wuppertal, Witzenhausen). Erfahrungen aus verschiedenen EU-Ländern wurden ausgewertet, um die Experimentierfelder des Ansatzes zu definieren.

Die fünf Experimentierfelder des WF 4.0-Ansatzes

Die Grafik 1 zeigt die fünf Experimentierfelder und weitere Zielgruppen und Beispiele möglicher Initiativen auf:

Grafik 1: 5 Experimentierfelder des Wirtschaftsförderung 4.0-Ansatzes

Quelle: Wuppertal Institut, https://www.wirtschaftsfoerderungviernull.de

1. In der Produktion:  Die Stärkung von lokal gefertigten Produkten und regionalen Wertschöpfungsketten, die Unterstützung von Kreislaufwirtschaftsansätzen (Circular Economy) sowohl in Wertschöpfungsketten als auch in Unternehmen und Haushalten durch Upcycling (Weiternutzung/ Weiterverwertung), Netcycling (Tauschen), Re-Use (Wiederverwendung/ Andersverwendung) und Recycling (Wiederverwertung). Die Förderung von entsprechenden Unternehmen spielt hier eine wesentliche Rolle und weitet den Blick auf aktive Unternehmen aus. Das gleiche gilt für die Landwirtschaft, wo neue solidarische und lokale Ansätze gestärkt werden. Auch lokale und regionale Energieerzeugungsansätze werden unterstützt. Lokale Instrumente hierfür sind u.a. die Stärkung lokaler Zuliefer- und Einkaufsdienste, Buy Local-Kampagnen, lokale Verkaufsplattformen, aber auch Urban Gardening oder Community Gardening-Projekte, die Förderung von erneuerbaren Energien, Wind- und Solarparks z.B. durch Erneuerbare-Energie-Genossenschaften und die Förderung von lokalen Anteilseignern an dem Energiepark oder an einer regionalen landwirtschaftlichen Erzeugergemeinschaft.  

2. Sozialunternehmen: Soziale Unternehmen setzen nicht auf Profit sondern auf Lösungen für soziale Probleme. Gemeinwohlziele und Unterstützungsangebote geben hier die Orientierung. Beispiele sind hier z.B. Repair-Cafes, in denen Gegenstände von Bürgern repariert werden, Dorfläden zur Sicherung der lokalen Einkaufsmöglichkeiten, Food-Sharing-Initiativen zur Nutzung von nicht genutzten Lebensmitteln, Wohngemeinschaftsprojekte, Elterninitiativen z.B. für die Kinderbetreuung, aber auch Beratungsangebote für besondere Zielgruppen (z.B. ärmere Zielgruppen, Flüchtlinge, etc.) sind hier möglich.

3. Teilen: Der Begriff der Sharing economy ist hier der Fokus, geht aber auch darüber hinaus. Teilen als gemeinschaftsbildendes Element ist wesentlich, nicht nur als rein kommerzielles Element. Beispiele sind hier Car sharing, Bike sharing, Werkzeug-Sharing, Fahrgemeinschaften als auch Second-hand-Geschäfte und Gebrauchtwarenhandel.

4. Regionalgeld zur Stärkung von regionalen Kauf-, Produktions- und Dienstleistungskreisläufen. In der EU gibt es hier eine Vielzahl von Beispielen.

5. Stärkung von lokalen und nachhaltigen Unternehmen: Hier ist ein breites Spektrum von verschiedenen Unternehmen möglich. Dazu zählt die Förderung von innovativen Unternehmen und Start-ups, die zur Lösung von gesellschaftlichen und Umweltherausforderungen beitragen. Aber auch Unternehmen, die die Nachhaltigkeit ihres Geschäftsmodells in den Vordergrund stellen sowie auch alternative und gemeinschaftsorientierte Formen der Organisation wie z.B. Genossenschaften und Stiftungen, die auch wirtschaftlich orientiert sein können, aber das Gemeinwohl an erster Stelle setzen.

Viele dieser Ansätze sind nicht neu erfunden, sondern in den letzten Jahrzehnten schon auf der Basis von zivilgesellschaftlichen Entwicklungsinitiativen, alternativen Bewegungen und Visionärsansätzen entstanden. Auch in Entwicklungsländern gibt es z.B. zur informellen Ökonomie eine Vielzahl von Ansätzen, die eine ähnliche Ausrichtung haben.  Häufig werden diese Ansätze jedoch von Wirtschaftsförderern eher als soziale Ansätze interpretiert, ihre wirkliche Entwicklungskraft häufig nicht ernst genommen und auch nicht in formale Analysen und Entwicklungsansätze integriert. Viele lokale Akteure der Wirtschaftsförderung und der Politik sehen das Anschieben solcher Ansätze auch heute noch nicht als ihre Rolle. Mit diesem Verständnis werden jedoch breitere innovative Möglichkeiten nicht entdeckt, nicht gefördert und nicht genutzt.

Was heißt das für die Arbeit der lokalen Wirtschafts- und Innovationsförderung? 

Wir müssen wirtschaftliche, soziale und ökologische Innovationen nicht parallel behandeln, sondern lernen, sie zusammen zu denken, gesammelt zu entdecken, zu stärken und in Strategien, Analysen, Projekte und Programme miteinander zu integrieren. Den Blickwinkel weiten. Watzlawick lässt grüßen.

Was bedeutet das dann heute für unsere Arbeit in der kommunalen und regionalen Wirtschaftsförderung? Das folgende Bild zeigt den Fokus, den die Wirtschaftsförderung und häufig auch wir von Mesopartner in der Vergangenheit genommen haben. Trotz systemischer Brille sahen wir vorwiegend diese Akteure:

Grafik 2: Der Blickwinkel der traditionellen Wirtschaftsförderung

Quelle: Frank Waeltring, Mesopartner

Wenn wir in Zukunft lokale Kräfte bündeln und innovative Experimentierfelder für lokale Transformationsprozesse mit Bürgern und Unternehmen stärken wollen, wird die Einbindung von weiteren Unternehmen und von zivilgesellschaftlichen Kräften in die Wandelprozesse wesentlich sein.

Grafik 3: Neue Blickfelder öffnen, neue Akteure entdecken

Quelle: Frank Waeltring, Mesopartner

Das bedeutet, den Tunnelblick zu verlassen, mit Bezug auf Watzlawicks Geschichte in Blog 1 aus dem Laternenlicht herauszutreten, das Umfeld breiter zu scannen und neue wichtige Akteure zu entdecken und wahrzunehmen. Die folgenden Fragen helfen Kommunen und Regionen bei dieser Entdeckungsreise:

1. Was sind Unternehmen, die in der Kreislaufwirtschaft und in der nachhaltigen Produktion, im Recycling, Upcycling und Netcycling von Bedeutung sind, aber in der Regel von uns nicht beachtet wurden? Was gibt es für Möglichkeiten, innerhalb von Wertschöpfungsketten Kreislaufwirtschaftsaspekte zu stärken als auch wiederverwertbarere Produkte zu fördern?

2. Welche Unternehmen in der Region verfolgen bereits innovative und nachhaltige Geschäftsmodelle, von denen man lernen kann? Was sind engagierte Sozialunternehmen, die wesentlich zum Gemeinwohl beitragen? Von wem kann man lernen, um diese Unternehmensformen und Start-ups vor Ort zu fördern?

3. Was sind Sharing-Modelle, die bereits existieren oder Potenzial im Markt und in der Kommune haben? Was sind Konzepte, die bereits bestehen und die gestärkt werden können?  

4. Wer sind Wandelakteure in der Kommune nicht nur auf der Unternehmensebene, sondern auch im sozialen, Bildungs- und Umweltbereich? Wir fragen häufig: Wer sind die „Outliers„, diejenigen, die gegen den Strom schwimmen, sich anders verhalten unter widrigen Umständen ganz andere Lösungen suchen und finden?

5. Welche Menschen und Gruppen sind die Förderer von neuen Bürgerinitiativen mit dem Ziel, gemeinwohlorientierte Kräfte zu bündeln und Lösungen zu finden?

6. Welche Unternehmenszweige, Branchen und Forschungseinrichtungen sind bereits auf dem Weg, transformative und umweltschonende Innovationen zu erforschen und anzuwenden?

7. Welche lokalen und regionalen Organisationen wie Bürgernetzwerke, Umweltorganisationen, NGOs auf der lokalen Ebene sind aktiv und probieren neue Initiativen und Experimente aus, um die Transformationsansätze vor Ort zu erhöhen? Wie sind diese unterstützt und wie lassen sie sich stärken?

8. Was sind die Rahmenbedingungen für Unternehmen, welche das Gemeinwohl, Nachhaltigkeit und Umweltinnovationen im Blick haben? (Wie) werden sie unterstützt? Woher beziehen sie ihr Wissen und ihre Inspiration? Wieweit sind diese Innovationen nachgefragt zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen? Sind sie vernetzt in der Region oder über die Region hinaus?

9. Wie lässt sich mit den lokalen Wirtschaftsförderakteuren gemeinsam der Blickwinkel öffnen?

Der Blickwinkel in der Grafik 3 oben fasst unsere Perspektive zusammen, die auch in Standortanalysen mit integriert werden müssen. Sie verdeutlicht die Betrachtung von verschiedenen Akteuren auf verschiedenen Ebenen im Rahmen eines systemischen Analyserahmens. Es sind nicht nur die aus unserer Brille direkt ins Blickfeld fallenden Unternehmer und Wertschöpfungsketten sondern auch zusätzliche Unternehmer und Bürger, die innerhalb oder außerhalb der dominanten Zuliefer- und Unternehmensnetzwerken Mehrwert, Innovationskraft und Pionier- oder Querdenker-Eigenschaften aufweisen. Es sind nicht nur traditionelle Wirtschaftsförderagenturen, Technologiezentren und Dienstleistungsorganisationen für Unternehmen, nicht jedwede Cluster. Es sind auch Umweltverbände, soziale und zivilgesellschaftliche Organisationen, kleine Akteursnetzwerke, die nachhaltige und innovative Entwicklungsansätze und -modelle ausprobieren. Es sind Dienstleistungsanbieter für Umwelt und Nachhaltigkeitslösungen, bestimmte Unternehmen und Forschungsabteilungen, die etwas Neues, Wettbewerbsfähiges und Nachhaltiges entwickeln wollen.

Spannend an dem WF 4.0-Ansatz ist es, dass er zum einen den Blickwinkel öffnet für weitere „Pioniere des Wandels“, die in der Vergangenheit häufig nicht als wesentliche Kräfte ausreichend wahrgenommen worden sind. Zugleich schafft er einen Raum, in dem ein solches Engagement und solche Ansätze erst einmal wachsen und dann kontinuierlich unterstützt werden können.

Um mit Paul Watzlawicks Geschichte zu enden: Um den Kreis der Erkenntnis weiter zu ziehen, müssen wir auch mit der Taschenlampe nach neuen Verknüpfungen suchen. Diese zu suchen und zu finden wird wichtig sein. Sie bieten neue Chancen für nachhaltige Lösungen.

Autoren: Frank Waeltring & Guido Zakrzewski

Weitere Informationen

Blog 1 zur Wirtschaftsförderung 4.0.

Link zum deutschen Videocast und englischen Videocast von Mesopartner mit Jana Rasch vom Wuppertal Institut zum Ansatz Wirtschaftsförderung 4.0

Webseite: Wirtschaftsförderung 4.0 vom Wuppertal Institut

Literatur

Kopatz, Michael (2016): Ökoroutine, Damit wir tun, was wir für richtig halten, Wuppertal Institut.

Schneidewind, Uwe (2016): Die große Transformation, Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels, Frankfurt am Main.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.